Von den Schlitzerländer Leinwebern
Bei uns im Schlitzerland stand früher in jedem Haus ein Webstuhl an der Stubenwand. Überall hörte man Tag und Nacht die Webstühle klappern, wenn Schlitzer Leinen gemacht wurde. Da gab es im Dorf den alten Lohn, der war wirklich ein Meister seines Fachs. Der kannte sich richtig aus bei seiner Arbeit und am Webstuhl kannte er jeden Ton. Als sein Sohn beim Militär war, musste er für den zweiten Webstuhl einen Lehrling einstellen. Die Wahl fiel auf Krääters Christian, der gerade aus der Schule gekommen war.
Der Christian schaute sich die ganze Sache drei Wochen lang an und merkte sich alles ganz genau. Dann kroch er selber hinter den Webstuhl und sagte: "Das kann ich auch." Den Scheffel rein und auf und ab. Der Meister stand daneben, der Stuhl machte ganz ruhig sein klipp und klapp und der Christian bekam das schon ganz gut hin.
Auf einmal machte er aber neben an der Kante ein fünf Zentimeter langes Nest*. Der Meister hob schon die Hand und sprach: "Ich könnte dir eins hinter die Ohren geben." Der Christian antwortete aber "Ach Meister, ich hatte doch immer noch Glück. Wäre das ein Stückchen weiter drüben passiert, wäre es gar nicht mehr auf dem Stoff gewesen."
*Ein "Nest" ist, wie Hans Feick erklärt, der Albtraum eines jeden Webers. Dabei "verkutzeln" (verheddern) sich die Fäden so, dass an ein sauberes Weiterarbeiten nicht mehr zu denken ist.
(1960)
Zitiert nach Fritz Kumpf: Heiteres und Besinnliches aus dem Schlitzerland, Schlitz: Eigenverlag 2000.